Die Geburtsstunde des YPSILON , das Jahr 1978, fiel in eine Art Gründerzeit. Ganz und gar nicht im klassischen Stil: Mit  alternativen , selbstverwalteten  Betrieben  begann  der Versuch, bessere Arbeits- und Lebensformen im Alltag umzusetzen: Gleiche Löhne, gleiche Rechte, gemeinsam abgestimmte Entscheidungen, politische und kulturelle Ansprüche als Schwerpunkt der Arbeit. So manche Projekte von damals sind wieder in der Versenkung verschwunden, andere zu etablierten Großunternehmen mutiert. Auch unsere Buchhandlung, die ihre Wurzeln in der Aufbruchsstimmung dieser Jahre hat, vollzog kontinuierliche Wandlungen, behielt aber ihren Charakter. Standen anfangs auch Themen wie Ökologie, Minoritäten, Regionalismus usw. im Vordergrund, so war das YPSILON doch schon damals eine typische Stadtteilbuchhandlung mit Klassikern und Schullektüren, Kinder-und Jugendbüchern, Gartenratgebern, Krimis und Bildbänden. Kulturelle und politische Ansprüche bedeuten ja nicht zwangsläufig Abgehobenheit und Borniertheit. Die Vielfalt war leider begrenzt, nämlich räumlich. Die beiden kleinen Läden der Anfangszeit schränkten das Sortiment stark ein, bei Autorenlesungen wurde es ungemütlich eng.

 

Im Jahr 1986 begann die »Flucht nach vorne«. Durch eine angekündigte Mieterhöhung in der Berger Str. 27 vor die Frage gestellt, ob aufgeben oder neu beginnen, wagten wir den Umzug in unseren heutigen Laden, entwickelten die Idee einer Verbindung Buchhandlung und Café: eine Zeit voller Arbeit rund um die Uhr folgte, bis im Februar 1987 das Café eröffnet werden konnte und die Buchhandlung in neuem Gewand dastand: mit erweitertem Sortiment, großen Schaufenstern und der besonderen Kaffeehausatmosphäre. Seitdem konnten wir etwa

100 Malerei- und Fotoausstellungen realisieren, etwa 200 Lesungen durchführen – mit Autor(inn)en aus aller Welt: Asien, Afrika, Lateinamerika, aber auch Nordend, Bornheim, Ostend...

 

Unmöglich, alle aufzuzählen. Vielleicht sollten wir erwähnen, dass am 3.10.1990, dem deutschen Vereinigungstag, Hanna Krall bei uns las , deren Bücher  in beispielhafter Weise polnisch-jüdisch-deutsche Geschichte thematisieren, mit allen dunklen Seiten, aber nicht unversöhnlich. Eine produktive Zusammenarbeit mit dem anderen Literaturclub brachte viele Autor(inn)en aus Asien, Afrika, Lateinamerika zu uns, 1998 den nigerianischen Nobel-preisträger Wole Soyinka. Zahlreiche jüdische wie arabische Autor(inn)en stellten ihre Bücher bei uns vor, durch Kooperation mit dem Institut Français war die französische Sprache oft bei uns zu hören, doch auch Türkisch, Persisch, Spanisch, Portugiesisch, Italienisch, Russisch, Ungarisch, Indonesisch, usw. Junge deutsche Literatur gab’s natürlich auch, z.B. John von Düffel: Vom Wasser (Aspekte-Literaturpreis). Interessenten erhalten gerne eine Liste aller Lesungen: unserer Meinung nach ein wertvolles Stück Kulturarbeit in Frankfurt.

 

Der Vielfalt der Lesungen entspricht das Sortiment – zumindest ist das unser Anspruch. Ihm vollständig gerecht zu werden, fehlen vor allem zwei Dinge: Platz und Geld. Aber auch in Zeiten der immer gnadenloseren Warenwirtschaftssysteme, in der allein die Verkaufs-häufigkeit über das Schicksal von Büchern entscheidet, leisten wir uns gelegentlich den Luxus, Titel nachzubestellen, die zwei, drei Jahre nicht verkauft wurden. Natürlich sind wir keine Bibliothek, und die Gratwanderung zwischen ökonomischen Notwendigkeiten, bibliophiler Grundhaltung und Kompromissen mit dem Zeitgeist erfordert viel Geschick.

So sind wir seit einigen Jahren bemüht, in den erweiterten Auslagen des Modernen Antiquariats die Rosinen aus dem riesigen Ramschangebot zu präsentieren. Trotz anfänglicher Skepsis gegenüber den neuen Medien betreiben wir seit einigen Jahren eine Internet-Homepage, auf der interessierte Besucher unsere  Lesungen, Ausstellungen und Empfehlungen studieren und Bücher online bestellen können: www.y-buchladen.de

 

In unserem Buchhändler-Team bemühen wir uns nach wie vor – mitunter vielleicht etwas arbeitsaufwendig – um gemeinsame Planungen, Sortimentsgestaltung und Einkaufspolitk .

Einen besser bezahlten ersten Sortimenter sucht man bei uns weiterhin vergeblich. Das bringt zwar intensive Debatten und einige Reibungsverluste mit sich, aber auch einen unschätzbaren Vorteil: umfassende Informiertheit, aus der sich unsere Kompetenz in Beratungs-Situationen ergibt. Zusammen verfügen wir mittlerweile schließlich über weit mehr als hundert Jahre buchhändlerische Erfahrung...

 

Buch & Café – diese Verbindung lädt zum Verweilen ein. Vielen Kunden/Gästen ist diese besondere Atmosphäre über die Jahre hin sehr vertraut geworden, eine Art zweites Wohnzimmer. Aber mit schöner Regelmäßigkeit wird das YPSILON auch immer wieder neu entdeckt: Verwunderte Blicke von Buchhandlungs-Kunden durch die Glastür ins Café. Blicke, die dann vielleicht an einer aktuellen Ausstellung hängenbleiben, oder – aus der Gegenrichtung – die Durchsicht auf neue Bildbände. Und immer wieder der Aha- Effekt, wenn zu Lesungen die bewegliche Zwischenwand aufgeschoben wird, ein großer Raum entsteht: So versuchen wir auch weiterhin, Originalität zu bewahren und nicht in täglicher Routine zu versinken.