Was für ein traumhafter Abend! Auf Grund des großen Interesses unserer Kund*innen, mussten wir ein paar Tage vor der Veranstaltung die Anmeldung schließen, damit wir
jedem eine gute Sicht auf das kleine rote Holztheater bieten konnten, das auf einem Stehtisch im Ypsilon Café aufgebaut wurde. Wir haben uns schon vorab riesig über die zahlreichen Anmeldungen
gefreut!
Carmen Sorgler vom Forum Kamishibai geleitete uns durch den Abend. Mit einer bemerkenswerten, vollen und damit wunderbaren Erzählstimme wechselte sie zwischen
Kamishibai-Geschichten und Informationsanteilen, mit historischen Eckpunkten, Pädagogik, Wissen aus dem Bereich der Litracy, sowie
Eigenschaften, die den Kern des Kamishibais ausmachen. Das Publikum folgte gebannt und wie erhofft, gestaltete sich dieser Abend zu einer besonders atmosphärischen
Veranstaltung.
Hier ein paar nennenswerte Details:
Bevor es Kamishibai gab, zogen Wandermönche umher und erzählten mit Hilfe von beschrifteten Bildrollen von ihrem Glauben. Da sie frei sprachen, fielen irgendwann die Beschriftungen weg.
Viel später, um 1900, gelang der Stummfilm nach Japan. Während zum Beispiel in Deutschland ein Orchester spielte, solange der Film ablief, gab es in Japan einen Erzähler, der synchron zum bewegten
Bild erzählte – und das häufig voller Leidenschaft.
Durch die Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre verloren viele japanische Männer ihre Arbeitsplätze. Eine Reaktion der Anpassung auf die prekäre Situation war ein Holztheater, das auf ein Fahrrad
geschnallt wurde. Die Männer kauften oder stellten preisgünstig Süßigkeiten her. Mit ihrer Ware und dem Holztheater fuhren sie umher. An einem Platz angekommen, trommelten sie mit Klanghölzern die
dort ansässigen Kinder zusammen, die Süßigkeiten kaufen sollten und anschließend mit einer Geschichte belohnt wurden. Einer Bildergeschichte, die sich durch das Holztheater bewegte. Das
Straßen-Kamishibai war geboren.
Die Begeisterung mancher Erwachsener hielt sich sehr in Grenzen. Sie bemängelten, dass hier Action- und Heldengeschichten erzählt wurden – die Moral und erzieherische
Pointe jedoch fehle. Und ehe man sich versah, wurde das Kamishibai in Erziehungseinrichtungen genau für dieses verwendet: Moral und Religion. Traurigerweise stellte man dabei fest, das auf diese
Weise jegliche Botschaft vermittelt werden kann und so wurde das Erzähltheater im 2. Weltkrieg (Japan trat an der Seite von Hitler in den Krieg ein) für Propaganda missbraucht. Weil in Japan das
Kamishibai daher mit der Kriegszeit, aber auch mit den Entbehrungen der Wirtschaftskrise in Verbindung gebracht wurde, blieb es lange in Vergessenheit. Die Erfindung und der Einzug des Fernsehgeräts
in die Privathaushalte bis in die 1960er Jahre ließ das Kamishibai nun vollständig von der Straße verschwinden. Da wundert es nicht, dass das Fernsehn in Japan auch Denki Kamishibai
(elektrisches Kamishibai) genannt wird.
Heute erlebt das Kamishibai sowohl in Japan als auch in Europa eine Renaissance. In Japan werden in pädagogischen Einrichtungen mehrmals täglich Kamishibai-Geschichten erzählt – nicht nur zur
Unterhaltung, auch Sachthemen werden so vermittelt. In deutschen Kindertagesstätten zog das Bildertheater vor ein paar Jahren ebenfalls ein. Und nicht nur für kleine Kinder ist es gedacht: Die Länge
– also die Anzahl der Bildkarten, die auf der Rückseite mit Regieanweisungen versehen sind – und die Komplexität der Geschichte sind für unterschiedliche Altersstufen zugeschnitten. Auch für
demenzkranke Menschen sind sie geeignet. Und auch das Publikum im Ypsilon Café hatte große Freude an den kurzen Geschichten, die immer eine oder mehrere Überraschungen zu bieten haben. Geschichten,
die nicht mit der letzten Karte enden, denn: „die Geschichte ist zu Ende, das Thema ist noch im Raum“, wie Carmen Sorgler betonte.
Kamishibai ist eine Erzählkunst, die Papierbilder bewegt, mit Mimik und Stimme arbeitet und die Konzentration ihrer jungen und alten Zuschauer*innen einfängt und trainiert. Auf die Publikumsfrage
hin, was den der Unterschied zwischen Kamishibai und dem Vorlesen von Büchern sei, antwortet Carmen Sorgler folgendermaßen:
„Kamishibai ist der rote Teppich, der zum Buch führt.“
Kamishibai-Geschichten können für Kinder der Einstieg in die Literatur sein – toll ist dabei auch, dass viele Kinder eine gute Sicht auf die Bilder bekommen – anders als beim Bilderbuch, wo man sich
um die Sicht auf die Bilder drängen muss.
Die Kernpunkte Kyokan, was soviel wie „das, was wir gemeinsam erleben und fühlen“, also das Gemeinschaftsgefühl und Ma, das mehrere Bedeutungen hat, spielen eine zentrale Rolle. Ma, ist das Tor, das aufschwingt, damit die Sonne und Wärme hineinströmen können. Aber auch eine
trennende und verbindende Pause, ein wichtiger, bedeutungsvoller Leerraum – der auch beim Erzählen entsteht und bewusst eingesetzt wird, um die Wirkung von Wort und Bild zu entfalten.
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